09.12.25
Vom Bauen mit Holz, Lehm und Stroh in Backnang

Kein Müll, kein Gift und keine Deponie

Sie kamen ohne Mietvertrag. Zwar sind es noch nicht jene »Blütengärtler«, die bald, in einem Verein organisiert, die vier Häuser im Backnanger IBA-Projekt beziehen werden. Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zimmerei haben Feldbetten aufgebaut und Schlafsäcke ausgerollt, eine Campingküche improvisiert und es sich im Rohbau von Haus 3 gemütlich gemacht. Der kurzen Wege halber. Bis sie das letzte der Häuser »gestellt« haben und die anderen Handwerksfirmen auf die Baustelle kommen. Heute verlegen sie Dampfbremsen am Erdgeschoß, richten die strohgedämmten Holzrahmenwände aus, verbinden sie miteinander. Vier Innenwände bringt später der Kran. Dann folgt die Zwischendecke.

»Etwa zehn Tage braucht ein Haus bis der Rohbau steht«, erklärt Architekt Lukas Brenner, »je nachdem, wie gut das Wetter mitspielt.« Wasser am Holz wäre schädlich, das Stroh müsste dann ausgetauscht werden. Also werden die Häuser jeden Abend und bei drohendem Regen in Planen eingepackt. Und weil dieser Sommer wechselhaft ist, sind die Rohbauten von Haus 1 und 2 ganz in Folie gehüllt, während innen, unterstützt von Ventilatoren, der Lehmputz trocknet.

Holzmodule made in Rottenburg

Die Wände der Häuser im Blütengarten kommen als vorgefertigte Module von der Zimmerei Thjen in Rottenburg. Hier, in der neuen, 800 Quadratmeter großen Produktionshalle, stapeln sich die Strohballen. Eine Heckenschere surrt, Druckluftnagler zischen. Es duftet wie bei der Ernte.


Vier Mitarbeiter sind gerade dabei, die Gefache – also die Hohlräume zwischen den Balken – zweier Blütengarten-Wände mit dem Öko-Dämmmaterial zu füllen. 80 Zentimeter breit ist so ein Gefache, der Rahmen 36 cm dick. Ein Bauer liefert die stark verdichteten Ballen von der Schwäbischen Alb, wo das Stroh beim Anbau von Roggen und Weizen als Nebenprodukt anfällt. »Am zeitaufwändigsten ist das Nachstopfen der Ecken«, sagt Heiko Fischer, Projektleiter bei Thjen, und deutet auf einen Kollegen, der mit einem langen Stopfeisen die Feinarbeit macht. »Ansonsten kommen die zertifizierten Ballen passgenau und wir drücken sie in den liegenden Rahmen.«

Die überstehenden Halme nehmen die Zimmerleute wie beim Heckenschnitt mit der elektrischen Schere ab. Manchmal auch mit dem Rasenmäher. »Dabei achten wir darauf, dass die Halme leicht nach oben zeigen. Damit später der Putz besser haftet.« Abgeschnittene Reste gehen zurück auf den Acker oder werden zu Einstreu, beispielsweise im Pferdestall. Kein Müll, kein Gift, keine Deponie. Stroh ist ein einfaches Baumaterial.

Branchenverband leistet Pionierarbeit

Obwohl die Zahl der neu erstellten Strohballenhäuser in Deutschland von rund 200 im Jahr 2012 auf geschätzte 1800 im Jahr 2024 gewachsen ist, bleibt das Dämmen mit dem Naturmaterial eine Nische. Branchenverbänden zufolge lag der Marktanteil nachwachsender Dämmstoffe (neben Stroh auch Hanf, Holz oder Zellulose) – zuletzt bei gerade mal etwa zwölf Prozent. Und obwohl der Strohballenbau vor allem durch die Arbeit des Fachverbands FASBA, dessen »Strohbaurichtlinie« und die europaweite bauaufsichtliche Zulassung der Ballen als Dämmmaterial große Fortschritte gemacht hat, ist der Einsatz noch viel zu oft das Werk von Überzeugungstätern.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen natürlich die Vorschriften: Zwar konnte die Richtlinie des FASBA die Strohballendämmung sowohl als »feuerhemmend« nachweisen. Ab der Gebäudeklasse vier aber schreiben Bauordnungen eine »hochfeuerhemmende Bauweise« vor, für die bei strohgedämmten Holzständerbauten noch keine anerkannten Standards existieren. Also werden teure und zeitaufwändige Einzelfallprüfungen notwendig. Und die muss man bekanntlich mögen.

Was kann Stroh eigentlich nicht?

Doch neben den rechtlichen Hürden hat Stroh als Baumaterial auch immer noch ein Imageproblem. War das nicht die Bauweise der armen Leute vom Dorf? Kann ein Material taugen, das nicht in drei weit voneinander verteilten Fabriken aufwändig verarbeitet wurde? Barrieren bedingen und verstärken sich gegenseitig: Aus lange widerlegten Vorurteilen resultiert ein dürrer Markt, der zu fehlenden Routinen im Handwerk und von da wieder zurück zu den Vorurteilen führt.

Zu leicht soll es das Einfache nicht haben in der deutschen Bauwirtschaft, am Aufwändigen hängen Erwerbsmodelle. Und Stroh ist wirklich ziemlich einfach. Es ist regional verfügbar, hat kurze Transportwege, wächst nach, bindet dabei sogar das höllische CO2. Abgesehen vom Pressen der Ballen und dem finalen »Haarschnitt« in der Wand benötigt es bei der Verarbeitung kaum Energie. Es wächst flächensparend als landwirtschaftliches Nebenprodukt und bietet für die Landwirtschaft eine ziemlich einfach zu realisierende Einnahmequelle. Was kann es nicht? Wahrscheinlich, denkt man, würde sich der Öko-Streber viel besser verkaufen, würde man ihm nach der Ernte wenigstens ein kurzes Bad in einem Poly-, Tetra-, Hexaphenol-Irgendwas gönnen. Und damit verbunden so etwas wie Grenzwerte. Aber Chemie gibt es auch nicht im Stroh, wie überhaupt keine Schadstoffe, stattdessen verbessert es das Raumklima, weil die so gedämmten und lehmverputzten Wände diffusionsoffen bleiben.

Und beim Dämmen? Beim Kerngeschäft? »Wir erreichen im Blütengarten nahezu Passivhausstandard«, sagt Architekt Brenner. Die Wandstärken seien vergleichbar mit mineralisch gedämmten Wänden. Mit einem den Wärmeverlust markierenden U-Wert von 0,15 Watt pro Quadratmeter und Kelvin seien die strohgescheiten Wände eine wichtige Säule im nachhaltigen Energiekonzept des IBA’27-Projekts.

Mensch, Material, Arbeit

Mit einem metallischen Klacken setzt sich der Kran in Bewegung. Leise surrend fährt eine Wand übers Gelände und senkt sich ins Erdgeschoss wo zwei Zimmerleute sie in Empfang nehmen und an die vorgesehene Stelle bugsieren. Dann surren die Akkuschrauber. Neben all der Bauphysik, der »Wasserdampfdifussionswiderstandszahl« und den »Luftschalldämmwerten« ist da etwas, das auffällt, wenn man die Zimmermänner und -frauen um Projektleiter Heiko Fischer in der Vorfertigungshalle und auf der Baustelle beobachtet: Es ist ein ruhiges und unaufgeregtes Arbeiten, eine Unbefangenheit im Umgang mit den Materialien. »Das Stroh«, so steht es auf Seite acht der “Strohbaurichtlinie”, »soll goldgelb bis blassgelb sein.« Aber auch einen leichten Graustich, heißt es weiter, würde es verzeihen. Was verzeiht Styropor? Es scheint Menschen gemäß zu sein, Häuser aus Holz, Stroh und Lehm zu bauen. Dass sie Wohnlichkeit ausstrahlen, schon bevor ihre Wände ganz trocken sind, beweist zumindest Haus 3 schon seit mehreren Wochen. Ganz ohne Mietvertrag.

Text: IBA’27 / Markus Bauer
Alle Bilder: Lukas Brenner / plusbauplanung

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