07.08.23
Interview

»Die IBA’27 ist eine Riesenchance für die Region«

Interview mit Marcus Nickel (Standortleiter von PwC in Stuttgart), Karin Lang und Andreas Hofer (Geschäftsführung der IBA’27 GmbH)

Herr Nickel, PwC ist Hauptförderer der IBA’27. Warum engagieren Sie sich bei der IBA?

Marcus Nickel: Viele Unternehmen, aber auch Deutschland und Baden-Württemberg, stecken in einer Transformation. Transformation bringt immer Veränderung mit sich und das in vielerlei Hinsicht – einige Stichworte sind Digitalisierung, Nachhaltigkeit, veränderte Arbeitswelten oder Infrastrukturentwicklung. Als ich vor etwa zwei Jahren einen Vortrag von Herrn Hofer gehört habe, wurde mir bewusst, dass es bei der IBA nicht nur um einzelne Bauprojekte, sondern um Transformation geht und dass sie daher gut zu uns passt. Denn wir begleiten unsere Kunden bei Transformationsprozessen, um sie nachhaltig zukunftssicher zu machen, und wir transformieren uns auch selbst. Die IBA und wir haben ähnliche Langfristziele, verfolgen diese auf unterschiedlichen Wegen – und deshalb wünsche ich der IBA mehr Sichtbarkeit. Durch unsere Förderung können wir dazu beitragen. Ich sehe in der IBA’27 eine Riesenchance für die Region – wenn die ausgewählten Projekte auch realisiert werden.

Als Bauausstellung interessiert uns vor allem, wie sich die Transformation baulich und planerisch auswirkt. Warum interessiert sich PwC dafür?

Nickel: Es gibt eine Gemeinsamkeit und das ist das Thema Nachhaltigkeit. Denn das betrifft alle Branchen und beschäftigt viele Unternehmen. Durch die Regulatorik und die Berichterstattungspflicht rund um ESG hat es Thema an Dynamik gewonnen. Unternehmen wollen wissen, was das für sie im Einzelnen bedeutet. Die IBA beschäftigt sich rund um Bauen, Wohnen und kommunale Infrastruktur mit vielen sehr konkreten Fragen rund um die Nachhaltigkeit, die auch für die heimische Wirtschaft relevant sind – zum Beispiel, wenn es um Gewerbeflächen geht.

… was unter anderem im Verantwortungsbereich der Kommunen liegt. Sie haben auch die Öffentliche Hand als Kunden. Was muss sich Ihrer Ansicht nach konkret verändern?

Nickel: In aller Kürze: Die öffentliche Hand muss digitaler, schneller und veränderungswilliger werden. Es gibt einen riesigen Investitionsstau, was die Digitalisierung und die Optimierung der Prozesse betrifft.

Wie sieht die IBA diese Aufgaben?

Andreas Hofer: Wir können natürlich nicht die gesetzliche Lage zu verändern. IBA kann aber vielleicht helfen, grundsätzliche Herangehensweisen und Blickwinkel verändern. Ich kann von einem Beispiel einer kleineren Kommune aus der Region berichten: Dort haben wir drei Jahre lang zusammen mit den Investoren, der Verwaltung und dem Gemeinderat intensiv daran gearbeitet, bis der Rahmen zur Transformation und Erweiterung einer Textilfabrik in ein gemischtes Quartier gesteckt war. Über diesen gemeinsamen Prozess wurde viel gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Jetzt haben wir sozusagen die Lizenz zum Experiment und alle ziehen an einem Strang. Vermeintliche Hürden, wie etwa der Lärmschutz, werden von den Akteuren jetzt als Chance begriffen. Andererseits gibt es leider auch Stadtverwaltungen, die keinerlei Spielräume in der Gesetzesauslegung zulassen. Zwischen diesen beiden Polen bewegen wir uns als IBA’27.

Die Hauptförderer der IBA’27 können auch als Multiplikatoren für die Ideen und Ziele der IBA wirken?

Karin Lang: Unsere vier Hauptförderer sind sehr wichtige Partnerinnen für die IBA und wir freuen uns, wenn sie sich für uns und unsere Ziele aktiv einsetzen. Das betrifft nicht nur die materielle Unterstützung, sondern den fachlichen Austausch, wenn es um Produktinnovationen, neue Technologien und neue wissenschaftliche Studien geht. Bei einem großen Fach-Symposium im Juli hat zum Beispiel Ferdinand Pohl referiert, Experte bei PwC zum Thema Kreislaufwirtschaft beim Bauen – ein hochaktuelles Thema. Wir müssen einfach vom Reden ins Handeln kommen, wir brauchen mehr Verbündete, die bereits sind, mit uns neue Wege zu gehen und den so dringend notwendigen Transformationsprozess zu unterstützen oder mitzugestalten. Schön wäre daher, wenn wir noch weitere Förderer gewinnen könnten.

Hofer: Wir haben ja verschiedene Arten von Förderern, mit denen wir auch einen inhaltlichen Diskurs pflegen – auch über die firmenspezifische Transformationsprozesse, insbesondere in der Bauwirtschaft. Die IBA ist dafür ein gutes Instrument. Wir wollen ja auch neue Bauprozesse etablieren.

Herr Nickel, aus Sicht des Wirtschaftsberaters: Welche ökonomischen Chancen sehen Sie im Wandel für die Bauwirtschaft?

Nickel: Betrachtet man die Kosten mit der derzeitigen Inflation und Unsicherheit, nimmt der finanzielle Druck auf das Bauen massiv zu und das lässt natürlich auch die Investitionsbereitschaft sinken. Allerdings liegt darin auch eine Chance: Wer jetzt verstärkt auf das Thema Nachhaltigkeit setzt, wer CO2-Bilanzen ganzheitlich von der Grundsteinlegung bis zum Betrieb eines Gebäudes mitdenkt, wer offen ist für neue Materialien und Technologien, kann hier sicherlich zum Vorreiter werden und sich im Wettbewerb durchsetzen.

Welche Chancen sehen Sie in diesem Bereich für die Hightech-Region Stuttgart?

Nickel: Ich gehe davon aus, dass die Region eine teilweise Deindustrialisierung in produzierenden Bereichen durch eine lebendige technologieorientierte Startup- und auch Forschungslandschaft kompensieren kann. Ich wage jetzt mal die kühne Prognose, dass wir ein kleines Silicon Valley werden könnten. Wir haben in der Region jede Menge Ingenieurs- und Technikkompetenz, in Wirtschaft, Lehre und Forschung – das sind gute Voraussetzungen.

Wie werden die Menschen dann leben? 

Wohnen und Arbeiten werden näher aneinanderrücken.

Wie ist denn die Wohnsituation bei Ihren rund 750 Mitarbeitenden von PwC in Stuttgart?

Nickel: Jüngere Mitarbeitende wollen in der Stadt leben, sobald Familie ein Thema wird, ziehen viele in die Randgebiete. Wir haben uns bewusst für eine innerstädtische Lage entschieden – zum einen haben wir sehr viele junge Mitarbeitende, für die das attraktiv ist. Zum anderen wollen wir in der Stadt präsent und sichtbar sein. Allerdings arbeiten wir bei PwC schon sehr lange – nicht erst seit der Pandemie – hybrid. Für mich selbst heißt das, ich bin zwei bis drei Tage im Büro. Mir ist aber bewusst, dass flexible Arbeitsmodelle nicht in allen Branchen möglich sind. Deshalb können wir über Wohnen und Arbeiten nicht debattieren, ohne auch über Mobilitätskonzepte nachzudenken. Aus meiner Sicht ist es hier wichtig, ein breites Angebot zu machen, damit sich jeder die für ihn passende Lösung aussuchen kann.

Wohnraum ist in allen großen Städten knapp. Welche Ideen hat die IBA, um dieses Problem anzugehen?

Lang: Die international breit geführte Diskussion über Dichte und Nutzungsmischung kann gerade hier in der Region Stuttgart zu neuen Kombinationen von Wohnen und Arbeiten führen. In zentrumsnahen Gewerbegebieten sieht die IBA große Potentiale für neue Modelle für gemeinwohlorientiertes und innovatives Bauen, für nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraum in Verbindung mit ressourcenschonenden Flächen für die Industrie. Hier bieten auch das Schließen von Energie- und Stoffkreisläufen, die Kreislaufwirtschaft und Umbaukultur ökonomische und ökologische Potentiale. Wir suchen nach effizienteren Planungsprozessen und Bautechnologien und loten die aktuellen regulatorischen Grenzen aus – zum Beispiel bei der Nutzung von Recyclingmaterialien. Ich denke Kreislaufwirtschaft ist auch ein Thema, mit dem sich PwC beschäftigt.

Die Ideen sind da, wie sieht es aber mit der Umsetzung aus?

Hofer: Ich sehe das Wissencluster hier in der Region, wir haben aber an vielen Stellen ein Problem, in die Realisierung zu kommen. Die Verbindung zwischen Forschung und Wirtschaft fehlt teilweise. Auch daran arbeiten wir. Die Stadt Stuttgart hat zum Beispiel nun einen Wettbewerb für ein neues Besucherinformationszentrum für die Weissenhofsiedlung ausgeschrieben und fordert, dass die teilnehmenden Architekturbüros mit Baufirmen und Ingenieuren ein Team bilden, damit das, was geplant wird, auch so umgesetzt werden kann. Die Durchgängigkeit solcher Prozesse funktioniert nämlich oft nicht, das haben auch viele Versuche mit digitalen Werkzeugen wie BIM gezeigt. Die Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschung, Planungspraxis und Umsetzung auf der Baustelle muss besser werden.

Nickel: Das sehen wir genauso: Das Know-how ist da, aber es wird noch nicht ausreichend gebündelt. Das ist wie bei einer Baustelle: Die einzelnen Gewerke müssen zusammenpassen und sich abstimmen. Innerhalb der Industrie sind Kooperationen absolut üblich, vielleicht muss die Baubranche hier noch aufschließen.

Was wäre Ihr Wunsch, was 2028 von der IBA bleibt?

Nickel: Die lebenswerten Quartiere, die hoffentlich beispielhafte Strahlkraft nach außen entwickeln. Wenn leben und arbeiten wieder mehr miteinander verwoben wären, dann würde es allen besser gehen, denn der Wohlfühlfaktor hängt maßgeblich von der Aufenthaltsqualität im Stadtraum ab. Ich erhoffe mir von den IBA-Vorbildern eine positive Dynamik, die viele mitreißt.

Interview: Tobias Schiller, Redaktion: Ursula Hoffmann

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