27.03.23
Universität Stuttgart

Fassaden als Wasserspeicher und Verdunstungskühler

Seit Ende 2021 steht auf dem Campus der Universität Stuttgart das erste adaptive, also an Umweltbedingungen anpassungsfähige Hochhaus der Welt, das D1244. Bisher galt die Aufmerksamkeit des interdisziplinären Forschungsteams vor allem der Tragstruktur des Elfstöckers. Wie riesige Muskeln gleichen bei dieser sensorgesteuerte hydraulische Aktoren Wind-, oder Erdbebenkräfte aus, wodurch beim Bau bis zur Hälfte an Material eingespart werden kann. Nach diesem Meilenstein wenden sich die Spitzenforscher nun der Außenhaut des Gebäudes zu. Eine ganze Reihe innovativer Fassadenelemente soll aus einem stummen Riesen ein mit seiner Umwelt interagierendes Bauwerk machen, anpassungsfähig an die Herausforderungen der Klima- und Ressourcenkrise. Den Auftakt macht die wassersensible Fassade »HydroSKIN«. Die aus Textilien gearbeiteten Module nehmen Regen auf, speichern ihn und können ihn bei Sonneneinstrahlung kühlend verdampfen.  

Gemeinsam mit versiegelten Böden machen Gebäude Städte zu Hitzespeichern, die selbst nachts nicht mehr abkühlen. Stuttgart erlebte im vergangenen Jahr 36 Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad auf die häufig tropische Nächte folgten. Die zeitgleich aufgetretene Dürre gilt als eine der schlimmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Flächenversiegelung führt zugleich dazu, dass die immer häufiger als Starkregen auftretenden Niederschläge zu rund 90 Prozent abfließen und von überforderten Kanälen nicht mehr aufgenommen werden können. Überschwemmungen verursachen dann oft große Schäden.

Regenwasserrückhaltung an der Fassade

Die am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruktion (ILEK) der Universität Stuttgart entwickelte wassersensible Fassade begegnet beiden Phänomenen der Klimakrise. Das textile Äußere besteht aus zwei Lagen Gewebe, die durch Fäden voneinander getrennt gehalten und so durchlüftet werden. Durch die Außenwand wird Regen eingelassen, entlang der Innenwand abgeleitet und in Speichern gesammelt. Das Wasser kann jetzt im Gebäude genutzt oder an heißen Tagen in die Fassade zurückgeleitet werden, wo es kühlend verdunstet. »Dieses Fassadensystem stellt eine artifizielle Retentionsfläche zur Regenwasserrückhaltung und -verdunstung in der Gebäudefassade dar, die durch ihre optischen und haptischen Qualitäten nicht nur unglaublich schön ist, sondern zugleich einen Meilenstein für die Anpassung der gebauten Umwelt an die akuten Herausforderungen unserer Zeit darstellt«, erklärt Christina Eisenbarth, akademische Mitarbeiterin am ILEK und Erfinderin von »HydroSKIN«.

Je höher ein Gebäude ist, desto besser wirkt die Fassade. Das liegt vor allem am zunehmenden Wind. Der sorgt zum einen dafür, dass das Wasser ab etwa 30 Metern Höhe als Schlagregen auf die Fassade trifft. Zum anderen verstärkt er bei Hitze den Verdunstungs- und Kühleffekt. Diese Abkühlung wirkt nicht nur auf die Fassade und ins Innere des Gebäudes. Durch die nach unten fließende Luft kühlt das Hochhaus auch die Stadt.

Seit Oktober 2022 sind Prototypen am D1244 angebracht, wo sie getestet werden. »Die Ergebnisse sind vielversprechend. Bereits in Laboruntersuchungen konnten wir etwa 10 Grad Temperaturreduktion durch den Effekt der Evaporation nachweisen. Die ersten Messungen am Hochhaus Anfang September weisen auf ein noch deutlich höheres Kühlpotenzial hin«, erklärt Christina Eisenbarth. 

Antwort auf Klima- und Ressourcenkrise

Die wassersensible Innovation ist nur die erste Etappe auf dem Weg zum größeren Gesamtbild: »Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen«, ist Titel und Anspruch des Sonderforschungsbereichs 1244, zu dem sich vierzehn Institute der Stuttgarter Universität zusammengeschlossen haben. Neu entwickelte Fassadenelemente sollen den Eintrag von Licht und Energie sowie Luftaustauch und Wärmedurchfluss in Gebäuden aktiv beeinflussen aber auch positiv auf die städtische Umgebung wirken.

»2023 wird eine weitere Etage des adaptiven Hochhauses D1244 mit HydroSKIN-Elementen realisiert werden. Nach und nach soll jedes Geschoss des Gebäudes mit neu entwickelten und innovativen Fassaden ausgestattet werden, die einen Beitrag zu mehr Ressourceneffizienz und Klimaschutz leisten werden«, sagt ILEK-Leiter Prof. Lucio Blandini, verantwortlicher Planer für das D1244 und stellvertretender Sprecher des SFB 1244. 

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