Stimmen zur IBA’27
IBA on Power!
Höher, schneller, weiter war gestern – Heute bestimmen Themen der nachhaltigen Transformation die Projekte der Bauausstellung
von Thomas Auer
In der notwendigen nachhaltigen Transformation sprechen wir inzwischen von allerlei »Wenden«. Neben der Energie- ist inzwischen auch von der Bau- oder der Mobilitätswende die Rede. Jede für sich ist eine enorme Herausforderung – vor allem in Anbetracht der kurzen Zeit, die hierfür zur Verfügung steht. Ein eigentlich kleiner Baustein – das Heizungsgesetz – versetzt derzeit das Land schon in eine Hysterie. Die IBA hat sich auf die Fahnen geschrieben, Antworten zu liefern für die Fragen unserer Zeit, Antworten für die dringend notwendige nachhaltige Transformation, die all die angesprochenen Wenden berücksichtigt. Das Ziel muss es sein, keine Leuchttürme zu bauen, die zwar in der Fachwelt große Beachtung finden, aber letztlich nicht den Weg in die breite Masse schaffen. Es braucht einen Paradigmenwechsel hin zu einfacher, robuster Architektur, vernünftigen Komfortansprüchen und mehr gesundem Menschenverstand, anstelle von Höher, Schneller, Weiter.
»Es braucht einen Paradigmenwechsel hin zu einfacher, robuster Architektur.«
Thomas Auer
Innerhalb der Fachwelt stehen derzeit die sogenannte graue Energie bzw. die grauen Emissionen im Fokus der Diskussion. Das sind die Emissionen, die für die Errichtung eines Gebäudes erforderlich sind. Häufig hört man das Argument, dass der Energiebedarf für den Gebäudebetrieb weniger relevant sei, da die Energieversorgung ohnehin auf erneuerbare Energieerzeuger, vor allem Wind und Sonne, umgestellt wird. Die Argumentation ist leider nicht korrekt. Energie wird immer – auch wenn sie zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt – ein kostbares und knappes Gut bleiben. Sonne, Wind und Erdwärme sind quasi unbegrenzt vorhanden; endlich sind aber Ressourcen wie Kupfer, Seltene Erden etc., vom Flächenbedarf ganz zu schweigen.
Die IBA-Projekte werden erst dann zu Modellprojekten, wenn sie es schaffen alle Aspekte der nachhaltigen Transformation in sich zu vereinen. Das wird manchen besser gelingen als anderen und sicherlich würden rückblickend einige Dinge anders gemacht. So manche Ansätze werden von unseren Enkeln wahrscheinlich als naiv betrachtet. Aus heutiger Sicht ist die nachhaltige Transformation des Gebäudesektors, der zu einem großen Teil unsere Lebensqualität beeinflusst, alternativlos. Die IBA hat die große Chance, nicht nur aufzuzeigen, wie wir einen Schritt nach vorne machen. Nebenbei werden erfolgreiche Projekte mehr Sachlichkeit in den Diskurs bringen, so dass die Möglichkeiten für eine Verbesserung der gebauten Umwelt und für mehr Lebensqualität erkannt werden – sofern wir diese Transformation gestalten.
Viele IBA Projekte liegen in der Region. Man könnte dies als Nachteil sehen, da die Stadt doch vermeintlich das Modell für ein nachhaltiges Leben ist. Tatsächlich zeigen Studien, dass der CO2 Fußabdruck der Menschen, die in einem dichten urbanen Umfeld leben, im Vergleich zum ländlichen Raum deutlich kleiner ist. In Deutschland leben aber nur dreißig Prozent der Menschen in Großstädten. Wir müssen auch Antworten für die anderen siebzig Prozent finden, und diese Antworten sind ungleich schwieriger, wenn nicht alle zehn Minuten eine S-Bahn vor der Tür hält.
Die IBA hat es geschafft, eine Diskussion in die Städte der Region zu bringen, die noch vor wenigen Jahren schwierig bis undenkbar gewesen wäre. Wie selbstverständlich werden neue Ansätze diskutiert, wie etwa gemischt genutzte Quartiere. Ausreichend bezahlbarer Wohnraum ist eine der zentralen Herausforderungen der Stadt und der Region, und die Aufgabe lässt sich nur im Verbund lösen. Die Region Stuttgart ist aber auch ein High-Tech-Industriestandort (mit einem enormen jährlichen Flächenbedarf für die Industrie), weswegen sich die IBA auch die produktive Stadt auf die Fahnen geschrieben hat. Gemischt genutzte Quartiere sind sicherlich nicht die alleinige Antwort. Es ist jedoch die Abkehr vom Paradigma der räumlichen Trennung und die Chance, dass Menschen in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnort auch Arbeit finden und damit das Verkehrsaufkommen reduzieren.
Bauliche Dichte ist ein zweiter wichtiger Ansatz. Die IBA hat es geschafft, dass auch in der Region wieder Geschosswohnungsbau realisiert wird. In kleineren Städten wird der Geschosswohnungsbau aufgrund der Erfahrungen aus den 1970er-Jahren schon fast stigmatisiert. Dabei ist der Geschosswohnungsbau selbstverständlich nachhaltiger als die permanente Zersiedelung mit Einfamilienhausgebieten. Die IBA-Projekte werden zeigen, dass bauliche Dichte eine Qualität hat, die Orte belebt und für die Bewohner eine hohe Lebensqualität schafft.
»Die IBA-Projekte werden zeigen, dass bauliche Dichte eine Qualität hat.«
Thomas Auer
Ansätze wie Holzbau, ausgeklügelte Energiekonzepte bis hin zur Wasserstofftechnologie sind alles Themen, die im Kontext der IBA-Projekte ganz selbstverständlich diskutiert werden und auch zur Umsetzung kommen. Die Explosion der Baukosten in Kombination mit den gestiegenen Zinsen hat den Wohnungsbau in Deutschland nahezu zum Erliegen gebracht. Der wirtschaftliche Druck wird sich auch auf die IBA-Projekte auswirken. So manches Projekt und so manche Maßnahme werden nochmals auf den wirtschaftlichen Prüfstand kommen, und möglicherweise wird nicht alles so realisiert, wie man sich das wünscht.
Unabhängig davon, was wir im Jahr 2027 besichtigen können, ist die IBA’27 StadtRegion Stuttgart schon heute eine Erfolgsgeschichte. Dem Team der IBA ist es gelungen, dass in der Stadt und in der Region ganz selbstverständlich über Themen der nachhaltigen Transformation gesprochen wird. Die Latte bezüglich Nachhaltigkeit, aber auch im Hinblick auf gestalterische Qualität wurde jetzt schon höher gelegt, ohne hysterische Reaktionen auszulösen – Chapeau!
Über den Autor
Thomas Auer ist Professor für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TU München und Partner bei Transsolar. Er arbeitet mit namhaften Architekturbüros weltweit an preisgekrönten Projekten, die sich durch ihr innovatives Design und integrale Klimastrategien auszeichnen. Thomas Auer lehrte an diversen Universitäten, u. a. an der Yale Universität (New Haven), und wurde 2014 als ordentlicher Professor an die TUM berufen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Dekarbonisierung des Gebäudesektors, sowie die Klimaadaption und deren Auswirkung auf die Aufenthaltsqualität. Er ist Mitglied der Akademie der Künste, außerordentliches Mitglied im BDA und Teil des IBA’27-Kuratoriums.
Dieser Beitrag ist erschienen in unserem Reader »Stimmen zur Internationalen Bauausstellung StadtRegion Stuttgart«.