Bald gras ich am Neckar
An einem unwirklich ätherischen Maiwochenende entschieden sich die Menschen der Stadt, den Fluss in ihre Mitte zurückzunehmen. Sie wussten nicht so genau, wie, und vielleicht war das gut so. Gelassen und still versanken sie auf Brücken, minutenlang, viertelstündig, langweilten sich mit gesenkten Köpfen und unter ihnen geschah: nichts. Ein grün dahinquellender Transportkanal. Ein Boot hatte angelegt, egalwoher, es hatte Wasser geladen, brachte Gespräche und Lieder. Unter gelben Segeln redeten Instrumente und Architekten davon, dass es fast zu spät gewesen wäre, aber wofür?
Ratlos war man und glücklich, flätzte am Ufer, hielt sich ans Vorbeiziehende, murmelte Unverständliches von Leben, Spiel, Nebensachen, trank und nahm Drogen. Boote legten an und wieder ab, Passagiere hatten nichts zu erledigen oder doch, belatschen die Reeling, und verschwanden als Punkte auf dem Wasser wie sie gekommen waren, still. Polizei fuhr vorbei, Junggesellenblödigkeit.
Er war wie immer. Trieb Laub, Äste und Plastikmüll, umströmte Hindernisse, verschwand wirbelnd in Nischen, quoll hinten am Mombach, wurde breiter, schämte sich und wollte weg von hier, weg von ihnen, anderswohin, klar.
Aber die Menschen waren nun mal entschlossen. Und weil sie sich seit langer Zeit am liebsten selbst im Weg standen, taten sie Naheliegendes, nämlich nichts, und sprachen darüber. Und, laudato si, es funktionierte. War er jetzt reißend, nach Wolkenbrüchen, hielten sie Abstand, respektvoll, warnten die Kinder. War er ruhig und zugewandt, breiteten sie die Arme aus, gingen hinein, nahmen ihn auf und wurden aufgenommen. Sie waren wie er, nur fester geformt. Hatten sie das jetzt wirklich endlich kapiert?
Ungläubig starrten sie auf die früheren Verfassungen ihrer selbst, peinigend war es, unerträglich, dass sie ihn eben noch als lebloses Transportband für Blechreste missverstanden, wie stumpfe Idioten entlang von Besitz und Zuständigkeit an ihm herumgeplant, ihn mit Motorenlärm und Scheiße zugemüllt, ihn vergewaltigt, totgebaut und stumm gestellt hatten. Welche totalitäre Ideologie, welcher technokratische Wahn hatte sie da gefangen gehalten? Ein aufheulendes Auto auf Kartätschen? WTF? Sie waren doch keine Blechsardinen! Vorbei der böse Zauber.
Wenig blieb noch zu tun: Er, seine Skulptur, vergessen im blechlawinenumrauschten Stadtpark seit Kulturamtsgedenken, sollte zurück, wieder thronen an seinem Ufer, ins Recht gesetzt, in einem ungelenken Akt dort enthüllt, wo er sicher nie zuvor gestanden hatte, egal, man war jetzt frei, glücklich und fühlte sich symbolisch und irgendwo gab es sicher einen Kran? Ihm würde es recht sein. Er wäre froh, endlich dem lächerlichen Exil zu entkommen. Von einem Sockel aus würde er sich selbst beobachten, Bonatz verzeihen, die Nase vor dem Schiffsdiesel schließen, laut lachend den Masterplan Neckar studieren und ab und zu unter Diarrhoe leiden. Egal. Er würde sich selbst zurückerobern. Irgendwann. Mit oder ohne Menschen.










Das Flussbaden im Mombach und im Neckar wurde veranstaltet von der Agency Apéro in Kooperation mit der IBA’27 und dem WSA Neckar.
Bilder: IBA’27-Team; Franziska Kraufmann
Markus Bauer / IBA’27-Team
4 Kommentare

Großartig Markus!
Künk
ich liebe deine Texte
Andreas
das ist sehr nett von euch, danke ☺️
Markus
Lieber Markus. Das ist reine Literatur. Ernst, frech und witzig. Merci!
Agnès