03.11.21

»Wir tragen Verantwortung für die Region«

Das Stuttgarter Bauunternehmen Wolff & Müller ist seit dem Sommer 2021 der erste Hauptförderer aus der Wirtschaft, der die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) unterstützt. Im Interview spricht Geschäftsführer Oliver Wilm über die Beweggründe für das Engagement bei der IBA, die Herausforderungen der Corona-Krise – und wie das Bauen effizienter und ressourcenschonender werden kann.

Herr Wilm, warum engagiert sich Ihr Unternehmen bei der IBA?

In den 1990er-Jahren habe ich persönlich als Student der Raumplanung in Dortmund die IBA im Ruhrgebiet miterlebt und diese als spannendes Experimentierfeld kennengelernt – mit Projekten, die für eine ganze Region Impulse liefern können. Das hat mich begeistert. Unser Unternehmen ist seit 85 Jahren in Stuttgart verwurzelt, wir tragen eine Verantwortung für die Region und haben den Anspruch, sie aktiv mitzugestalten. Die Fragen der IBA’27 – wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen, wie wir zukunftsfähige Häuser bauen, wie Städte dem gesellschaftlichen, technologischen und ökologischen Wandel begegnen – das sind Fragen, die für uns nicht nur als Bauunternehmen relevant sind, sondern auch als Familienunternehmen. In der Geschäftsleitung waren wir uns daher sehr schnell einig, dass wir die IBA in der Region Stuttgart unterstützen und nutzen möchten. Wir verstehen unser Engagement dabei nicht einfach als Sponsoring, sondern möchten die Gelegenheit nutzen, mit der IBA unser Unternehmen weiterzuentwickeln.

Was versprechen Sie sich konkret?

Durch die IBA entsteht ein Wissensnetz mit spannenden Zukunftsideen für die Region und für die Zukunft des Bauens. Wir möchten uns aktiv in dieses Netzwerk einbringen und uns mit anderen Experten austauschen – und dabei Impulse mitnehmen, aber auch unsere Erfahrungen, unser Bau-Know-how und neue Ideen einbringen. Wir versprechen uns, dass dadurch Themen wie digitale Technologien, modulare und nachhaltige Bauweisen und klimaneutrale Quartiere noch weiter in den Fokus rücken und damit in das Bewusstsein von Planern und Bauherren – denn genau daran arbeiten wir. Und natürlich erhoffen wir uns auch, durch die Partnerschaft mit der IBA öffentlich noch stärker als innovatives, nachhaltiges und gesellschaftlich engagiertes Bauunternehmen wahrgenommen werden.

Was sind denn Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Zukunftsaufgaben der Baubranche?

Es gibt eine ganze Reihe wichtiger Handlungsfelder, die die Bauindustrie fordern – nicht erst in der Zukunft. Dazu gehören sicher bezahlbares Wohnen, der demographische Wandel, die zunehmende Prozessorientierung und Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit. Wir haben für einige dieser Felder unsere Unternehmensziele in einem Zehn-Punkte-Plan festgehalten. So verfolgen wir beispielsweise eine unternehmensweite Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsstrategie.

Wie sieht das konkret aus, können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Nachhaltigkeit hat ja immer eine ökologische, ökonomische und soziale Komponente. Da möchte ich gerne den Modulbau nennen, ein Konzept das perfekt geeignet ist, um rasch und kostengünstig Wohnraum zu schaffen. Wichtig ist, dass das in hoher Qualität und möglichst ressourcenschonend gemacht wird. Wir treiben dieses Thema unter anderem mit unseren Partnern in der AH Aktiv-Haus GmbH voran, darunter Werner Sobek und das Institut für Nachhaltige Stadtentwicklung. Aus vorgefertigten Modulen entstehen Gebäude mit einem hohen architektonischen Anspruch, die in kurzer Zeit auf dem Baugrundstück installiert werden können. Die Module verbrauchen lediglich ein Minimum an Ressourcen, sind energetisch autark und zu hundert Prozent recycelbar, ohne dass dabei schädliche Emissionen entstehen. Aktuell baut Aktivhaus in einer Arbeitsgemeinschaft mit Wolff & Müller für die Stuttgarter Wohnungsgesellschaft SWSG in Bad Cannstatt ein ganzes Energiehaus-Plus-Quartier: Direkt am Klinikum entstehen so 329 Personalwohnungen für Mitarbeiter des Klinikums Stuttgart. 

Modulbau ist sicher eine Möglichkeit, um rasch bezahlbare Wohnraum zu schaffen. Was kann die Bauwirtschaft denn noch gegen steigende Wohnpreise tun?

Ein Punkt ist sicher, noch stärker auf digitale Planungs- und Baumethoden wie BIM zu setzen, also das Building Information Management. BIM heißt: Erst virtuell, dann real bauen. Dabei geht es nicht nur um das digitale Modellieren eines Bauwerks, sondern auch um die Steuerung und Koordination aller Beteiligten. Mit BIM können sich alle Projektbeteiligten auf einer gemeinsamen Datenbasis sehr eng abstimmen. Das Versprechen ist, dass ein solches Vorgehen Bauprojekte effizienter, termin- und kostensicherer macht. Eine weitere Arbeits- und Denkweise, die Prozesse verschlankt und Verschwendung vermeidet, ist Lean Construction. Lean Construction ist die Übertragung des aus der Automobilindustrie stammenden »Lean«-Prinzips auf das Bauwesen. Wir testen derzeit unterschiedliche Lean-Instrumente auf der Baustelle anhand von mehreren Pilotprojekten im Hochbau. Wir sollten uns aber nichts vormachen – wir werden nur dann nachhaltig etwas gegen steigende Immobilienpreise tun, wenn die Politik die richtigen Rahmenbedingungen im Dialog mit der Immobilien- und Bauwirtschaft schafft. Es kann nur gemeinsam funktionieren.

Bauen ist ja extrem komplex und bis heute sehr stark handwerklich geprägt. Wo stecken denn die tatsächlichen Potenziale der Digitalisierung?

Der erste Schritt ist sicher die beschriebene Optimierung von Abläufen, von Logistik und Prozessen auf den Baustellen und damit die Begrenzung der Verschwendung von Zeit und Material. Für den Straßenbau beispielsweise haben wir eine App, die die Asphaltmischwerke mit den LKWs und dem Bauteam koordiniert, damit nicht mehr mehrere LKWs gleichzeitig die Baustelle anfahren und auf ihren Einsatz warten. Aber um ehrlich zu sein: eine vollständig digitalisierte Baustelle, bei der es vor Ort kaum mehr Menschen braucht, sehe ich nicht. Es geht vielmehr darum, die Projektteams mit digitalen Werkzeugen wie Drohnenvermessung, Apps oder GPS-gesteuerten Baumaschinen bestmöglich bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Diese Themen haben sicher auch beim Bau Ihrer neuen Unternehmenszentrale, dem Wolff & Müller-Campus in Stuttgart-Zuffenhausen, eine Rolle gespielt …  

Zunächst ist der Campus ein Bekenntnis zum Standort: Zuffenhausen ist schon seit Mitte der 60er-Jahre der Hauptsitz der Unternehmensgruppe, hier wollen wir bleiben und wachsen. Deshalb haben wir uns bewusst dafür entschieden, hier den Standort der Hauptverwaltung weiterzuentwickeln, das Firmenumfeld zu modernisieren und eine auf die Zukunft gerichtete Arbeitswelt zu gestalten. Der Campus ist für uns aber auch ein Aushängeschild: Im Eingangsbereich haben wir mit der Wolff & Müller-Welt einen Ort geschaffen, der die Geschichte und Zukunft unseres Familienunternehmens sichtbar macht. Und natürlich haben wir bei unserem eigenen Bauprojekt die Innovationen realisiert, die wir selbst für besonders zukunftsfähig halten: Prozessorientiertes und digitales Planen und Bauen mit Lean-Methoden und BIM, aber auch in den Arbeitsplätzen, die mit viel digitaler Technik ausgestattet werden. Wir haben ein von Wolff & Müller selbst entwickeltes Schalungssystem eingesetzt und ein umfassendes Energiekonzept realisiert, mit Luft-Wasser-Fotovoltaik-Kollektoren, einem Blockheizkraftwerk, Wärmepumpe sowie Kältekompressionsmaschinen und einem Eisspeicher.

Die Corona-Krise hat für viele Verwerfungen gesorgt, vielleicht aber auch manche Transformationsprozesse beschleunigt. Wie hat sich die Pandemie auf Wolff & Müller ausgewirkt?

Die Bauwirtschaft ist im Vergleich zu anderen Branchen relativ gut durch die Corona-Krise gekommen. Wir konnten weiterbauen – wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Vor allem im Hoch- und Industriebau haben sich die Corona-Auswirkungen dennoch bemerkbar gemacht: Planungszyklen haben sich verlängert, Baugenehmigungen verzögert. Einige Bauherren haben angesichts der Unsicherheit geplante Projekte zurückgestellt. Andererseits holt gerade dieser Bereich derzeit stark auf. Auf den Baustellen haben wir für jedes Bauprojekt Präventionsmaßnahmen entwickelt, Abstand, Hygiene, Arbeitsorganisation und Kontakterfassung geregelt. Und in der Verwaltung ist wie überall das mobile Arbeiten in den Vordergrund gerückt. Das hat sicher in manchen Bereichen zur Effizienzsteigerung beigetragen, man kommt vielleicht bei Besprechungen auch besser auf den Punkt. Gleichzeitig müssen wir aber auch aufpassen, den Faden nicht zu verlieren, eine persönliche Besprechung hat schon eine ganz andere Qualität. Ich glaube deshalb auch nicht dran, dass wir sehr viel weniger Büroflächen in den Städten brauchen, einfach weil es ein großes Bedürfnis gibt, sich zu treffen.

Und die aktuellen Verwerfungen auf dem Rohstoffmarkt, spüren Sie die?

Wir spüren, dass die Preise deutlich gestiegen sind. Dies hat Auswirkungen insbesondere auf die Materialien Bauholz, Dämmung, Aluminiumprodukte und teilweise auch die Kunststoffe. Besonders im Fokus steht bei uns der Stahlpreis. Hier lassen sich mittlerweile jedoch auch die Auftraggeber dafür sensibilisieren und sind bereit, das Risiko durch Preisgleitklauseln mitzutragen. Verfügbarkeitsprobleme haben wir bisher keine nennenswerten. Allerdings müssen wir nun noch mehr darauf achten, die Beschaffung rechtzeitig zu starten. Wenn wir in der Vergangenheit nach einer Bestellung drei bis vier Werktage für die Lieferung veranschlagt haben, braucht es dafür momentan vier bis fünf Wochen. Das ist mit einer guten, vorausschauenden Planung aber machbar.

Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Wie bauen wir im Jahr 2037, also zehn Jahre nach der IBA?

Die digitale Integration von Planungs- und Bauprozessen wird wesentlich fortgeschritten und effizienter sein. 2037 werden wir sicher ökologischer bauen, gerade mit Blick auf knapper werdende Rohstoffe, die steigenden Preise und Entwicklungen wie den Klimawandel. Die Baubranche ist noch immer ein großer CO2-Verursacher, dem wir uns stellen und alternative Verfahren finden werden, etwa indem wir mehr klimafreundliche Baumaterialien verwenden und Materialien wie Beton, Holz und Metall besser recyceln.

Die Fragen stellte Tobias Schiller

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