18.06.25
Interview zum genossenschaftlichen Quartier am Rotweg

Gemeinschaft im Mittelpunkt

Im Gespräch mit Hartmut Friedel, Stadtplaner bei der Stadt Stuttgart, und mit Grazyna Adamczyk-Arns, Projektleiterin bei der IBA’27, über das genossenschaftliche Quartier »Am Rotweg«.

Herr Friedel, wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen der IBA’27 und der Stadt Stuttgart beim genossenschaftlichen Quartiersprojekt am Rotweg?

Friedel: Die IBA’27 hat uns und die Baugenossenschaften dankenswerterweise dabei unterstützt, die städtischen Zielvorstellungen zu verwirklichen. Schon vor dem Wettbewerbsverfahren hat die IBA’27 verschiedene Workshops mit Fachexperten organisiert, die uns bei der Planung zur Seite standen. Am 23. Juli 2021 wurde das Projekt schließlich durch den Aufsichtsrat der IBA’27 offiziell als Teil der IBA’27-Initiative anerkannt.

Welche Ziele werden dabei verfolgt?

»Mit dem neuen IBA-Quartier wollen wir einen beispielhaften Stadtteil mit Vorbildfunktion schaffen«, erklärt Hartmut Friedel. Bild: Landeshauptstadt Stuttgart/Fabrice Weichelt

Friedel: Mit dem neuen IBA-Quartier wollen wir einen beispielhaften Stadtteil mit Vorbildfunktion schaffen. Sowohl im Hinblick auf zeitgemäße, innovative Wohn- und Bauformen als auch im Hinblick auf das soziale Miteinander der Bewohnerinnen und Bewohner. Es soll ein Stadtteil der kurzen Wege entstehen. Deshalb werden neben den rund 210 Wohnungen auch gewerbliche und soziale Einrichtungen wie eine Kita und Pflegewohnungen im Quartier zu finden sein. Darüber hinaus soll das Quartier autoarm geplant werden, um den öffentlichen Raum vor allem für Fußgänger, Radfahrer und spielende Kinder zu öffnen. Das Quartier soll einladend und gut in die bestehende Nachbarschaft eingebettet sein, sodass es sich harmonisch in den Stadtteil einfügt. Ein weiteres Anliegen ist es, den grünen Charakter des Gebiets zu bewahren – durch den Erhalt vieler alter Bestandsbäume und weiterer Maßnahmen, die das Stadtklima positiv beeinflussen. Ein letzter wichtiger Aspekt dieses Projekts war auch, die benachbarte Bolzplatzanlage zu einer attraktiveren und nutzerfreundlicheren Fläche zu entwickeln.

Adamczyk-Arns: Am Rotweg werden bauliche und soziale Aspekte zusammen betrachtet. So entsteht ein Quartier, das von vornherein eng mit der Nachbarschaft korrespondiert und ihr auch neue Impulse gibt, ganz im Sinne des genossenschaftlichen Wohnens.

Das ist ein gutes Stichwort. Frau Adamczyk-Arns, welche Rolle spielt die genossenschaftliche Trägerschaft von Neues Heim eG und BGZ im Entwicklungsprozess des Quartiers und wie beeinflusst sie die Planung?

Adamczyk-Arns: Bei den Genossenschaften steht per Satzung die Gemeinschaft im Mittelpunkt, das ist ihre DNA. Der Wunsch unserer zwei Projektträger ist, das genossenschaftliche Zusammenleben neu zu erfinden. Nachhaltig und bezahlbar soll es sein und mit qualitätsvollen Freiräumen für Begegnungen und Austausch. Das Wunderbare am Rotweg ist ja, dass das schon im dialogischen Planungsprozess geschieht, der ein Stück weit auch das »zusammen Bauen« neu erfindet. Die Qualität des Dialogs und der Beteiligungen wird sich in der Qualität der gebauten Häuser äußern. Es wird einfach in einer Tiefe gedacht, die bei konventionellen Investorenprojekten in der Regel fehlt.

Ist das auch der Grund, weshalb das Konzept von ISSS Research Architecture Urbanism in Kombination mit topo*grafik als Siegerentwurf ausgewählt wurde? Was waren die ausschlaggebenden Kriterien?

Adamczyk-Arns: Der Entwurf bot das überzeugendste städtebauliche Gerüst. Einen sicheren Rahmen für die Weiterentwicklung im Dialog. Es sind immerhin zehn große Gebäude. Hier werden bis zu 600 Menschen leben und auch zahlreiche Arbeitsplätze entstehen. Die ausschlaggebenden Argumente waren das konsequente Denken im Quartierskontext, das Verhältnis der Gebäude zueinander, die Durchwegung und die Qualität der entstehenden Freiräume. Am Rotweg soll eine Nachbarschaft entstehen, die Freiräume und Erdgeschosse sollen lebendig sein, ohne zu irritieren. Und auch auf drängende Fragen zur Klimaresilienz bot der Siegerentwurf mit Flächen für Regenwasserrückhalt und Schatten überzeugende Antworten. Viele der alten Bäume auf dem Gelände können erhalten bleiben!

Übrigens haben sich die Bauträger dann sehr bewusst für die Beauftragung der drei erstplatzierten Architekturbüros für die dialogische Weiterplanung entschieden. Das sichert Vielfalt und Qualität in der Architektur. Die Menschen werden hier das Gefühl haben, in etwas Gewachsenes, Wohlüberlegtes einzuziehen. Nicht in 3-Zimmer-Küche-Bad in einem sterilen Neubau.

»Die Menschen werden hier das Gefühl haben, in etwas Gewachsenes, Wohlüberlegtes ein zuziehen«, sagt Grazyna Adamczyk-Arns. Bild: Landeshauptstadt Stuttgart/Fabrice Weichelt

Wie sieht konkret Ihre Arbeit an diesem Projekt aus, Herr Friedel?

Friedel: Meine Hauptaufgabe war es, die Erstellung des neuen Bebauungsplans zu koordinieren, um die Grundlage für das Quartier »Am Rotweg« zu schaffen. Der Plan legt unter anderem fest, welche Nutzungen erlaubt sind und wie viel gebaut werden darf. Doch die Zusammenarbeit mit dem Amt für Stadtplanung und Wohnen begann im Grunde genommen schon viel früher: Bereits bei der Auslobung des Wettbewerbs, der einen städtebaulichen und architektonischen Entwurf für das Areal finden sollte, hatten wir zusammen mit der IBA’27 großen Einfluss auf die Ausrichtung. Besonders wichtig war uns dabei, die Wünsche und Anmerkungen der Bürgerschaft aus der Beteiligung in Zuffenhausen-Rot direkt in den Anforderungskatalog einfließen zu lassen. So konnten wir auch die städtebaulichen, klimatischen und sozialen Ziele der Stadt von Anfang an mit einbeziehen.

Wie wurden die Bürgerinnen und Bürger denn beteiligt?

Friedel: Bereits im Dezember 2018 waren wir mit einem Quartiersmobil vor Ort in Rot unterwegs, um mit Fragebögen und Straßenbefragungen die Wünsche und Anregungen der Bürger und Bürgerinnen für die zukünftige Entwicklung in Zuffenhausen-Rot einzuholen. Darauf aufbauend fand im Januar 2019 ein Info- und Dialogabend im Bürgerhaus Rot statt, bei dem es zu vielen gewinnbringenden Gesprächen kam. Zur weiteren Begleitung des Planungsprozesses wurde zudem ein Bürgervertreter aus der direkten Nachbarschaft des Plangebiets bestimmt, der in den weiteren Planungsverlauf eng eingebunden wurde. Darüber hinaus wurden die Bürgerinnen und Bürger fortlaufend über den aktuellen Planungsstand des Projektes informiert. Neben den digitalen Angeboten gelang uns dies beispielsweise mit Formaten wie dem IBA-Festival, der Einwohnerversammlung in Zuffenhausen oder dem Tag des offenen Rathauses. Besonders bemerkenswert war die von den Baugenossenschaften auf dem Plangebiet temporär errichtete Laborbühne. In diesem Experimentier- und Aktionsraum konnte von Frühsommer 2021 bis Herbst 2023 das Thema »Wohnen der Zukunft« zusammen mit den Bewohnern, den lokalen Akteuren, der IBA’27, der Stadtverwaltung und externen Experten vor Ort diskutiert werden.

Wie sehen Sie das Quartier »Am Rotweg« im Kontext der IBA’27 und deren Zielsetzungen für die Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert?

Adamczyk-Arns: Es zeigt sich, wie wichtig es ist, bereits zu Beginn projektspezifische Lösungen auszuprobieren. Der gesamte Prozess – von der Zielfindung, über das unkonventionelle Wettbewerbsformat, bis hin zum dialogischen Planen – ist ein gutes Beispiel dafür. Und es zeigt sich, dass wir solche Aufgaben künftig immer im Quartiersmaßstab denken müssen. Quartiersentwicklung ist anspruchsvoll, es müssen viele Verbündete gewonnen werden. Aber der Aufwand lohnt sich – so entstehen Projekte, die ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig sind.

Und wo steht die Quartiersentwicklung gerade, Herr Friedel? Können Sie uns zum Schluss eine kurze Einordnung geben?

Friedel: Wir freuen uns, dass durch die äußerst gute und konstruktive Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten, also der Planer, der Baugenossenschaften als Bauherren, der IBA’27 GmbH und der Landeshauptstadt Stuttgart, das Bebauungsplanverfahren innerhalb des engen, vorgegebenen Zeitplans umgesetzt werden konnte und damit eine rechtzeitige Fertigstellung des Projektes bis zum Jahr 2027 möglich wurde. Im Herbst des letzten Jahres haben die Bauarbeiten auf dem Areal begonnen. Wir sind überzeugt, dass mit dem Quartier »Am Rotweg« sowie dem nur wenige hundert Meter entfernten IBA-Projekt Quartier Böckinger Straße ein herausragender Ausstellungsort für das IBA-Präsentationsjahr 2027 in Stuttgart entsteht.

Das Interview ist in der Broschüre »Stuttgart auf der Internationalen Bauausstellung 2027« erschienen. Herausgegeben von der Landeshauptstadt Stuttgart, Amt für Stadtplanung und Wohnen, Hochbauamt, Abteilung Kommunikation.

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