03.04.20
Vortrag beim IBA’27-Plenum #4

Aus Alt mach Neu – Zweite Chance für Gebäude und Baumaterialien

Der Bausektor hat einen wesentlichen Anteil am steigenden Rohstoffverbrauch und produziert eine große Menge an klimaschädlichen CO2-Emissionen. Kerstin Müller, Architektin beim Baubüro »in Situ« aus Basel, stellte beim vierten IBA’27-Plenum im November 2019 die Frage, wie der sehr große ökologische Fußabdruck der Bauwirtschaft reduziert werden kann. Wie lassen sich das Bauen, Ressourceneffizienz und Klimaschutz vereinen? Wie kann die steigende Nachfrage nach Wohnraum, die weltweit wachsende Verstädterung mit der Pflicht zum sorgsamen und nachhaltigen Umgang mit Natur, Ressourcen und Klima in Einklang gebracht werden?

»Einen Weg zu einer ressourcenschonenderen Bauweise sehen wir in der Wiederverwendung, also in der Verlängerung der Lebensdauer von bereits Bestehendem« erklärte Müller. Verändern sich die Bedürfnisse der Nutzer, müssen Gebäude nicht zwangsläufig abgerissen werden. Oft kann ihnen durch Umbau, Erweiterungen und mit innovativen Nutzungskonzepten, die dem Gebäude entsprechen, neues Leben eingehaucht werden.

An den über 100 Jahre alten Gebäuden des ehemaligen Textilherstellers Hanro im schweizerischen Liestal zeigte die Architektin, wie neue gewerbliche Nutzungen auf alten Industriegeländen wieder Platz finden können. Eigentlich hätten die Gebäude abgerissen werden sollen. Durch die Initiative einiger Mieterinnen und Mieter, die das Areal zwischengenutzt hatten, konnten sie jedoch erhalten werden. Nach einer umfassenden Sanierung sind wieder Büros und Ateliers von Designerinnen, Klavierbauern und Architektinnen eingezogen. Auch Handwerks- und Gewerbebetriebe sowie Teile der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Pädagogischen Hochschule sind Mieterinnen. Statt eines Abrisses ist die Transformation zu einem multifunktional umgenutzten Areal geglückt. Die Mieter arbeiten in guter, kreativer Nachbarschaft miteinander und geben dem Gelände gemeinsam eine neue Identität. Im Zuge einer geplanten Nachverdichtung soll auf dem Areal künftig auch Wohnraum entstehen.

Nicht nur ganze Gebäude, sondern auch viele Baumaterialien haben eine zweite Chance verdient. Aus Material, das an einem Ort nicht mehr gebraucht wird, kann anderswo Neues entstehen. Dieser Kreislauf an Materialien spart Energie sowie Ressourcen und würdigt die Schönheit des Vorhandenen. Bei der Sanierung des ehemaligen Verteilerzentrum Lysbüchel in Basel, das zu einem Gewerbe- und Kulturhaus werden soll, haben die Mitarbeiter des Baubüros »in Situ« aus ausgemusterten Fenstern unterschiedlicher Größe und altem Trapezblech eine 1.000 Quadratmeter große Fassade gebaut. Statt uniformen Gebäuden entsteht so Vielfalt.

Die Beispiele zeigen, wie durch Sanierung und Erweiterung von alten Industriearealen neue Nutzungen entstehen. Bestehende Gebäude werden weitergedacht und ihre identitätsstiftende Rolle erhalten. Verwendet werden dabei vor allem recycelte und nachhaltige Materialien, die für einen kleineren ökologischen Fußabdruck sorgen. So bleiben die architektonischen und ökologischen Potenziale der Gebäude und Materialien erhalten und werden gewürdigt. Mehr Inspirationen für die Wiederverwendung von Materialien und Gebäuden sind im Video des Vortrags von Kerstin Müller zu sehen.

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