03.11.25

Kirche weitergedacht: IBA’27-Projekte zeigen den Weg

Die aktuelle Veranstaltung der Reihe »AKBW meets IBA« beschäftigte sich mit der Zukunft der Kirche am Beispiel der Brenzkirche in Stuttgart und dem evangelischen Gemeindehaus im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach. Die beiden IBA’27-Projekte markieren einen bemerkenswerten Aufbruch im Hinblick auf die Frage, ob solche Gebäude aufgrund von Kirchenaustritten und schrumpfenden Gemeinden noch sanierungswürdig sind. Ist es zeitgemäß, sakrale Bauten und Gemeindehäuser für beträchtliche Summen um- und weiterzubauen? Der Abend beantwortete die Frage mit einem klaren Ja.
 
Zunächst führte IBA’27-Intendant, Andreas Hofer, im vollbesetzten Saal im Haus der Architektinnen und Architekten ins Thema ein, wies auf die Bedeutung von Kirche für eine Stadt hin und erzählte von seinen eigenen Erfahrungen mit dem Stuttgarter Hospitalhof, der ihm zu Beginn seiner Intendanz »Stube«, also eine Art Wohnzimmer war.
 
Dr. Raquel Jaureguízar, Projektleiterin der IBA’27, ordnete die Brenzkirche anschließend in den Gesamtkontext des Weissenhofs mit seiner kleinteiligen, archipelartigen baulichen Struktur ein. Es handelt sich um ein heterogenes Areal in einer UNESCO-Pufferzone mit unterschiedlichen historischen Hintergründen, Bauzeiten, Bodeneigentumsverhältnissen, schwieriger Zugangsorientierung, fehlender Infrastruktur und ein nicht menschenfreundlicher öffentlicher Raum. Die Gestaltungsspielräume sind aufgrund des Denkmalschutzes beschränkt und es braucht Mut, Aufgeschlossenheit und Kompromisse zur Weiterentwicklung. Die Schnittstelle zwischen der Weißenhofsiedlung als Vertreterin der
Klassischen Moderne und der Kochenhofsiedlung mit ihrer traditionalistischen Bauweise macht die Brenzkirche geschichtlich und baukulturell und zu einem wichtigen Stadtbaustein.
Im Rahmen des Projektes »Weissenhof 2027+« wurde daher mit allen Akteur:innen über mögliche Zukunftsbilder diskutiert.

Zurück in die Zukunft

Um zu verstehen, warum das Motto für die Transformation der Brenzkirche »Zurück in die Zukunft« lautet, erläuterte Raquel Jaureguízar im Anschluss kurz die Geschichte der Brenzkirche und damit die Herleitung für den Siegerentwurf des Büros Wandel Lorch Götze Wach.
Im April 1933 im Stil der neuen Sachlichkeit von Alfred Daiber erbaut, war das Kirchengebäude damals schon formal und funktional als offenes Haus mit verschiedenen Nutzungen für die Gemeinde konzipiert. Unter den Nationalsozialisten wurde das Haus 1939 überformt und damit »entschandelt«: Typische Merkmale der modernen Formensprache wie runde Gebäudekanten, Flachdächer und die Fenster wurden umgestaltet.
Der Förderverein Brenzkirche e.V. kam schließlich 2019 auf die IBA’27 zu und bat um Unterstützung für ihren Wunsch, aus der »hässlichen Kirche wieder eine schöne zu machen«.
 
Aus einem ausgelobten nicht offenen Realisierungswettbewerb gingen 2023 schließlich Wandel Lorch Götze Wach Architekten einstimmig als Sieger hervor. Es gelang den Architekten mit ihrem Entwurf – überschrieben als »Palimpsest« – die spannende Geschichte der Kirche baulich sichtbar und erlebbar zu machen und sie gleichzeitig in ein zukunftsfähiges Sanierungskonzept zu integrieren. Professor Wolfgang Lorch erläuterte in seinem Vortrag, wie das gelingen soll.

Wichtige Zeitschicht herausheben, andere aber nicht vergessen

Das Kirchengebäude zeigt in seinem jetzigen Duktus verschiedene historische Schichten, etwa in Putz, Fenstern und architektonischen Zitaten der „Germanisierung“. Lorch erklärt das Entwurfsprinzip für die Transformation: » Es geht darum mit Prägungen zu arbeiten, die Hauptschicht herauszuarbeiten ohne die anderen Schichten unsichtbar zu machen.«
Typologisch soll der Entwurf von Daiber ebenfalls weiterentwickelt werden: Die Kirche öffnet sich nach Westen, der Dora-Veit-Saal im Erdgeschoss bekommt eine bessere Anbindung und einen barrierefreien Zugang. Die ursprüngliche Größe der Fensterbänder wird ebenso wieder ablesbar sein wie die originale Form des Glockenturms. Im Inneren sorgt eine neue transluzente architektonische Raumschale für die Verschränkung zwischen alt und neu.  


Brenzkirche wird Zeichen der Zukunft

Wolfgang Lorch betonte die gute Zusammenarbeit mit den Denkmalbehörden und wies darauf hin, wie wichtig unsere Kirchen als Kulturdenkmäler sind – in einer zunehmend singularen Welt, wo sich Menschen nicht mehr dem einen Glauben verpflichtet fühlen. Hier wird die Kirche wieder zum Zeichen der Zukunft und des Zusammenrückens. Das offene, einladende Haus erlaubt vielfältigen Nutzungen auch jenseits einer Konfession. Gleichzeitig ist die Brenzkirche programmatischer Teil der IBA’27, da sich der Bedeutungswandel der Kirche auch in ihrer Nutzung widerspiegelt.

Kirche morgen – Evangelisches Gemeindehaus Feuerbach

Der zweite Teil des Abends gehörte dem IBA’27-Projekt »Evangelisches Gemeindehaus Feuerbach«: Auch Grazyna Adamczyk-Arns, verantwortliche Projektleiterin bei der IBA’27, stellt das Projekt mit seinen spezifischen Eigenheiten zu Beginn kurz vor. Im idyllischen Ortskern neben der Kirche St. Martinus gelegen, sollte das aus den 1970er Jahren stammende Gemeindehaus eigentlich einem Neubau weichen. Seit 2018 wurden in mehreren partizipativen Workshops Vorstellungen dazu entwickelt, was das neue Gemeindehaus können muss: ein Ort für Spiritualität, Kultur und Gemeinschaft, ein offenes, lebendiges Haus voller Optimismus. Gesucht wurde eine Lösung, die architektonisch, ökologisch und wirtschaftlich überzeugt, mit der sich Menschen identifizieren können, die sie mit Leben füllen wollen.

Für die IBA’27 war der Wunsch der Kirchengemeinde nach einem neuen Haus nachvollziehbar. Zugleich stellte sich die Frage: Vielleicht kann das Neue den Bestand mitnehmen? Und wenn ja – wieviel Bestandserhalt ist sinnvoll? Was bedeutet in diesem Kontext Wiederverwendung von Bauteilen oder Materialien? Diese Gespräche führten zu einem Umdenken: die Kirchengemeinde zeigte sich offen, nicht alle Fragen im Vorfeld beantworten zu wollen, sondern sie an die Büros im Wettbewerb zu richten.

Dialogisches Verfahren

Gleichzeitig wollte man ein transparentes Verfahren auf den Weg zu bringen, in dem Erfahrungen und bisher Erarbeitetes einfließen und Interessierte aktiv mitwirken können – ein Verfahren also, das partizipativ ist, das aber trotzdem zügig vorankommt und ein konkretes Ergebnis erzielen kann.
Man wählte ein zweistufiges Verfahren, das einen Dialog ermöglicht. Zehn Büros wurden eingeladen; nach der ersten Phase sollten vier Teams weiterkommen. 60 Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft konnten sich zum Beteiligungsprozess anmelden und verpflichteten sich, jeweils am Vorabend der Jurysitzung die Arbeiten anzuschauen und eine Rückmeldung zu geben. Diese wurde dann am nächsten Tag von den Patinnen an die Jury übermittelt.

Die erste Phase war bewusst konzeptionell ausgerichtet: Es ging um Grundidee, Haltung, Anmutung. Präsentiert wurden die Ideen im Pecha-Kucha-Format: 20 Folien à 20 Sekunden.  Erst in der zweiten Phase waren Modell und vollständige Planunterlagen gefordert. Auch hier fand am Vorabend der Jurysitzung ein Patinnenabend statt, die Preisgerichtssitzung selbst verlief in konventioneller Form. Anschließend wurden alle Entwürfe mehrere Wochen lang auf dem Kirchplatz ausgestellt. Als Sieger ging die Bürogemeinschaft Joos Keller mit Curious About Architekten und von K Landschaftsarchitekten hervor. Prof. Kyrill Keller (Joos Keller, Stuttgart) und Prof. Florian Bengert, (Curios about, Karlsruhe) stellten im Anschluss ihren Entwurf vor.

Kirchenfenster erhalten ein zweites Leben

Für Kyrill Keller steht das Projekt für den respektvollen und kreativen Umgang mit bestehender Bausubstanz. Der Titel wurde zum Leitbild des Entwurfs: aus Altem entsteht Neues. Bestehende Strukturen werden statisch ertüchtigt und durch Holzelemente ergänzt – so entsteht ein sichtbarer Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft. Eine Besonderheit ist die Integration eines ausgebauten 13-teiligen Kirchenfensters aus einer anderen Kirche, der Lutherkirche: Die 13 Glasteile werden in die vorhandenen Öffnungen eingesetzt und schaffen so ein völlig neues beeindruckendes Zusammenspiel von Licht, Raum und Bauhistorie. Wie der Entwurf der Brenzkirche macht auch diese Transformation verschiedene Zeitschichten erfahrbar und symbolisiert eindrücklich, dass Altes das Neue trägt und stützt. Inhaltlich prägen die Themen Nachhaltigkeit – Prof. Keller sprich von »Schöpfungsgerechtigkeit«, Transformation und Transparenz das Konzept. Das Gebäude soll Offenheit und Teilhabe ausstrahlen – ein Haus des Lichts und der Begegnung, das flexibel auf gesellschaftliche Ereignisse reagieren kann, etwa mit wechselnden Farbprogrammen.

Viel Lob für die Akteurinnen und Akteure

Anschließend gab es mit allen Beteiligten, dazu gehörten auch der Pfarrer der Brenzkirche, Karl-Eugen Fischer und der Pfarrer der Gemeinde St. Marinus, Jens Keil, eine Frage- und Diskussionsrunde, bei der sich im Grunde alle einig waren: Die Institution Kirche hat mit der jeweiligen baulichen Transformation die Chance, nicht nur das Gemeindeleben zu fördern, sondern konfessionsunabhängig moderne Orte des Zusammenkommens zu schaffen. Karl-Eugen Fischer betont den Menschenfokus: »Mir war es wichtig, dass das Gebäude wieder eine Zukunft bekommt – Kirche als Raum für Gemeinschaft, Intimität und Spiritualität.« Wolfgang Lorch betont ebenso die Zukunftsfähigkeit durch eine kluge, vielfältige Nutzung und Pfarrer Keil kann sich eine anlassbezogene thematische Beleuchtung seines Gemeindehauses, etwa in Regenbogenfarben zum Christopher Street Day, sehr gut vorstellen.
Grazyna Adamczyk-Arns hob schlussendlich ganz besonders das große, teilweise ehrenamtliche, Engagement der Akteurinnen und Akteure hervor – auch für die IBA’27 ein Glücksfall.

Ursula Hoffmann / IBA’27-Team

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