Wie lassen sich soziale Wohnprojekte wirtschaftlich umsetzen? Vier Experten und ihre Ideen
Mehr Gemeinschaft, mehr Nachhaltigkeit, mehr bedarfsgerechtes, individuelles Wohnen – viele Menschen wünschen sich alternative Wohnformen. Aber wie können sie finanziert werden? Mit diesem Thema beschäftigte sich eine Podiumsdiskussion am 22. Mai im Tobias-Mayer-Quartier. Die EWB Esslinger Wohnungsbau GmbH, hatte als Teil des IBA’27-Festivals #2 dazu eingeladen.
Eröffnet und moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Andreas Hofer von der IBA’27. Nach der Begrüßung kam er gleich zum Kern des Problems: »Alle hier auf dem Podium kämpfen mit dem gleichen Problem: den hohen Baukosten. Wir wollen hier die Frage diskutieren: Was geht noch?« Die Staatssekretärin im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, Andrea Lindlohr begrüßte die rund 150 Gäste im Publikum: »Die IBA’27 steht für den Mut, neue Wege im Planen und Bauen zu gehen – sozial, ökologisch und baukulturell anspruchsvoll. Projekte wie das Tobias-Mayer-Quartier in Esslingen zeigen, wie innovative Partnerschaften und partizipative Prozesse zukunftsfähige Quartiere schaffen können. Im Esslinger Norden entsteht so nicht nur dringend benötigter Wohnraum, sondern auch ein lebendiges Stadtviertel mit Modellcharakter.« Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer freute sich auf das Projekt: »Das Tobias-Mayer-Quartier beziehungsweise das Kettenhaus 1 ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie Esslingen Hand in Hand mit Wirtschaft und den Bürgern neue Wege beim Wohnen beschreitet». Auch EWB-Geschäftsführer Hagen Schröter richtete ein paar Worte an die Zuschauer: »Als Wohnungsunternehmen mit sozialer Verantwortung sind wir immer offen für die Bedürfnisse der Menschen. Das Kettenhaus 1 ist ein wegweisendes Projekt, da es zeigt, wie die Menschen in Zukunft wohnen und leben möchten.«
Das Tobias-Mayer-Quartier im Stadtteil Hohenkreuz war nicht zufällig als Ort der Podiumsdiskussion gewählt worden. Das Carree zwischen Tobias-Mayer-Straße und Palmstraße soll ein Vorzeigeprojekt für eine fortschrittliche Stadtentwicklung und zukunftsweisende, alternative Wohnformen werden: gemeinschaftlich und selbstverwaltet, sozial ausgewogen und inklusiv, umweltfreundlich und bezahlbar. Es ist ein in Esslingen einmaliges Wohnprojekt und seit 2023 Projekt der IBA’27. Die EWB entwickelte das Konzept für ihr Quartier und ist auch für die Umsetzung verantwortlich. Im Dezember 2024 trat der Bebauungsplan in Kraft.
Im Zentrum des Projekts steht das »Kettenhaus 1«: In den vier miteinander verbundenen Einzelgebäuden entstehen bis zu 38 Wohnungen mit ein bis fünf Zimmern und flexiblen Grundrissen für unterschiedliche Wohnbedürfnisse. So lassen sich beispielsweise mehrere kleine Appartements auch zu einem größeren Wohnkomplex mit gemeinschaftlich genutzten Räumen zusammenschließen (Clusterwohnen). Auch Wohngemeinschaften sind möglich. Das Erdgeschoss der drei- bis fünfgeschossigen Gebäude bietet Platz für Gewerbe, Ateliers oder Gemeinschaftsaktivitäten. Im Mittelpunkt des Quartiers wird ein zentrales Grünfeld mit Plätzen, Höfen und Gärten mit hoher Aufenthaltsqualität geschaffen. Über die autofreie Palmpromenade ist das Quartier mit der Nachbarschaft verbunden. Bis 2027 soll das »Kettenhaus 1« fertiggestellt sein. Bauherrin ist die Initiative Alternatives Wohnen Esslingen (AlWo).
Am Beispiel des »Kettenhauses 1« wurde auf dem Podium dann auch die Wirtschaftlichkeit von sozialen Wohnbauprojekten diskutiert. Titel der Veranstaltung: »Gemeinsam für bezahlbaren Wohnraum – kooperative Wege zwischen Gemeinwohl und Wirtschaftlichkeit«. Was zunächst die Frage aufwarf, ob sich Gemeinwohl und Wirtschaftlichkeit bei Wohnbauprojekten vereinen lassen.
Marco Gölz von AlWo1 eröffnete die Diskussion mit einem Eingangsstatement: »Mit AlWo1 wollen wir zeigen, wie gemeinschaftliches, selbstorganisiertes Wohnen gelingen kann – solidarisch, nachhaltig und bezahlbar. Gemeinsam mit starken Partnerinnen und Partnern aus Wohnungsbau und Stadtentwicklung schaffen wir Räume, die nicht nur Wohnraum, sondern auch Nachbarschaft ermöglichen. AlWo1 für 75 Menschen macht deutlich: Hier entsteht keine Subkultur, sondern ein zukunftsweisendes Modell, das konkrete Antworten auf die Herausforderungen bezahlbaren, ökologischen und gemeinschaftlichen Wohnens liefert.«
Dazu hatte Benedikt Altrogge, Branchenkoordinator »Wohnen« bei der GLS-Bank, mit der die AlWo das »Kettenhaus 1« im Tobias-Mayer-Quartier gemeinsam umsetzten möchten, eine klare Meinung: »Die Wirtschaftlichkeit hängt natürlich von den entstehenden Kosten ab, und da haben gemeinwohlorientierte Projekte den großen Vorteil, dass sie keine Gewinne erwirtschaften müssen, sondern mit Kostenmieten arbeiten können.« Altrogge erläuterte außerdem, warum Banken bei Erbpachtmodellen, die als preisgünstiges Finanzierungsmodell durchaus interessant sind, so zurückhaltend reagieren. »Erbpachtmodelle sind für viele Banken in der Beleihung kein Alltagsgeschäft und führen daher bei diesen zu Abschlägen bei der Risikoeinschätzung. Wir als GLS Bank arbeiten seit Jahren mit dem Erbbaurecht als Finanzierungsinstrument und können daher damit umgehen. Es kommt aber auf die Details an, die im Erbbaurechtsvertrag vereinbart werden.«
Damit sich soziale Wohnprojekte rechnen und bezahlbar sind, ist es wichtig, auf eine effiziente Umsetzung zu achten. So ließen sich beispielsweise Gewerberäume, für die keine Nachfrage mehr besteht, in Wohnraum umwandeln, meinte dazu Dirk Wehinger, Geschäftsführer vom Projektentwickler Argon GmbH. »Voraussetzung dafür wäre an vielen Stellen jedoch ein flexibleres Bauplanungsrecht sowie die Bereitschaft der Bewohner, in solchen Lagen mit Kompromissen in Bezug auf das Umfeld umzugehen.«
Um die Bezahlbarkeit zu gewährleisten, sei es denkbar, auch beim Flächenverbrauch und bei den oft unverhältnismäßig hohen Wohn- und Baustandards Geld zu sparen, sagte Vera Gloor, Inhaberin und Geschäftsführerin des gleichnamigen Schweizer Architekturbüros: »Beim Baustandard steht die Reduktion auf das Wesentliche im Vordergrund: keine unnötigen Verkleidungen und Oberflächen, keine starren Grundrisse.« Um kosteneffiziente Lösungen zu entwickeln, sei immer Kreativität gefragt. So sei es zum Beispiel wichtig, dass Räume und Materialien eine langfristige Qualität aufweisen und anpassbar sind, so Gloor weiter. Kosten ließen sich ebenfalls reduzieren, indem man die vorhandene Fläche mehrfach nutze, zum Beispiel für Wohnen / Arbeiten und Erschließung, so die Schweizer Architektin. Dasselbe gelte für das gemeinschaftliche Wohnen: »Durch die Bereitschaft zu teilen, erhalten die Nutzer mehr Möglichkeiten und mehr Qualität in vielfacher Hinsicht – räumlich und sozial. Trotz Reduktion der Individualfläche entsteht Grosszügigkeit, Vielfalt, Austausch und Unterstützung. Der Mieter bezahlt für Lebensqualität.«
Beispiele für aktuelle soziale Wohnbauprojekte lieferte Bianca Reinhardt Weith, Geschäftsführerin der Instone Real Estate: »Wir realisieren derzeit rund 200 geförderte Wohnungen in unseren Quartieren in Baden-Württemberg – und mindestens ebenso viele befinden sich bereits in der Planung oder im Prozess der Baurechtschaffung. Neben einer durchdachten Planung und effizienten Umsetzung ist vor allem eine verlässliche Förderkulisse unerlässlich.«
Die Veranstaltung war Teil des IBA’27-Festivals vom 9. bis 24. Mai 2025, bei dem
die aktuellen Zwischenstände der verschiedenen IBA-Projekte präsentiert wurden.
Quelle: Pressemitteilung der EBW





EWB Esslinger Wohnungsbau GmbH
