19.05.25

Stadt weiterbauen – mit Haltung

Stuttgart-West – ein Quartier, das verdichtet ist und doch Raum bietet. Für neue Ideen, für Weiterentwicklung, für ein anderes Denken von Stadt. Zwei Projekte der IBA’27 greifen diesen Gedanken auf: der Neubau eines Wohnhauses in der Weimarstraße durch Florian Nagler Architekten und die Transformation des Klett-Areals durch Bruno Fioretti Marquez.

Beide Projekte stehen exemplarisch für die Idee einer reparierenden Architektur. Nicht als Rückbau oder Schönheitskur – sondern als gestalterische Antwort auf urbane Brüche, Leerstellen und verpasste Chancen. Sie zeigen: Nachhaltiges Bauen beginnt nicht mit Technik, sondern mit Haltung. Mit der Frage, wie wir künftig wohnen, arbeiten und zusammenleben wollen.

Unweit der belebten Stuttgarter Mitte, in einer ruhigen Seitenstraße, liegt das Grundstück an der Weimarstraße. Dort entsteht ein langgestrecktes Holzgebäude, das sich selbstverständlich in die gewachsene Umgebung einfügt. Vermögen und Bau Stuttgart realisiert hier im Auftrag des Landes Baden-Württemberg barrierefreie Wohnungen für Mitarbeiter:innen – einfach, ressourcenschonend und mit hoher Aufenthaltsqualität. In den Obergeschossen bietet ein modulares System offene Ein- bis Dreizimmerwohnungen. Die zweigeschossige Sockelzone schafft Raum für gemeinschaftliche Nutzungen – mit Coworking, Ausstellungen und Veranstaltungen. Laubengänge, Loggien und Arkaden verbinden Innen- und Außenräume, verschatten natürlich und fördern das Miteinander.

Ganz anders, und doch im gleichen Geist, denkt der Entwurf von Bruno Fioretti Marquez das Klett-Areal weiter. Zwischen Gründerzeitfassaden nahe dem Feuersee fällt das langgestreckte Gebäude der 1950er-Jahre ins Auge – einst Sitz des Schulbuchverlags Klett, heute Teil eines dichten Ensembles aus siebzehn Gebäuden. Die Transformation bringt Struktur und Öffnung zugleich: Durch gezielte Eingriffe entsteht ein flexibler, grüner Campus mit Begegnungsräumen, Kommunikationszonen und einem Baumhain im Zentrum. Ein kompakter Neubau aus recyceltem Material ergänzt den Bestand und organisiert die Logistik am Rand – das Gelände selbst bleibt autofrei. Damit bekennt sich die Klett-Gruppe klar zur Produktiven Stadt – und zur stadträumlichen Verantwortung am historischen Gründungsort.

Im Hospitalhof Stuttgart wurden die beiden Projekte als Teil des IBA’27-Festivals vorgestellt. Professor Florian Nagler präsentierte seinen Entwurf zur Weimarstraße – ein Haus, das durch Reduktion, Klarheit und soziale Intelligenz überzeugt. Professorin Donatella Fioretti erläuterte den behutsamen Umgang mit dem Klett-Bestand und das Ziel, ihn als Teil eines lebendigen Quartiers neu zu verankern.

In der anschließenden Diskussion – moderiert von Dr. Raquel Jaureguízar (IBA’27) – sprachen Professorin Donatella Fioretti und Alessandra Raponi (Bruno Fioretti Marquez, Berlin), Professor Florian Nagler (Florian Nagler Architekten, München), IBA’27-Intendant Andreas Hofer sowie die IBA’27-Kuratoriumsmitglieder Professor Thomas Auer und Professor Hans Drexler über die Verantwortung von Architektur im urbanen Wandel. Der gemeinsame Tenor: Städte lassen sich nicht reparieren – aber weiterbauen. Mit Sorgfalt, mit Haltung, mit Blick fürs Ganze. Architektur kann dabei Räume schaffen, die verbinden statt trennen, heilen statt verdrängen. Sie bringt Licht in vergessene Ecken, verwebt Alt und Neu, stärkt das Gemeinsame. Und wenn sie dabei berührt, wird sie zur echten Zukunftsinvestition: schön, sinnstiftend und dauerhaft tragfähig.

Was bleibt: Zwei Orte im Westen Stuttgarts. Zwei architektonische Strategien. Und eine geteilte Haltung. Sie zeigen, wie Architektur wirken kann – wenn sie zuhört, gestaltet und Verantwortung übernimmt. Für das, was war. Und für das, was kommt.

Thea Leisinger / IBA’27-Team

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