25.11.25
Interview

Die Brenzkirche ist die Kirche des Quartiers

Die Architektin Dr. Raquel Jaureguízar betreut als Projektleiterin der IBA’27 die Sanierung und den Weiterbau der Brenzkirche. Im Interview für den Spenden-Newsletter der Brenzkirche erklärt die 39-Jährige, welche architektonische, aber auch gesellschaftliche Bedeutung die Kirche in ihren Augen besitzt.

Frau Jaureguízar, wann haben Sie die Brenzkirche zum ersten Mal wahrgenommen?

Das war lange bevor ich Projektleiterin bei der IBA’27 wurde. Seit vielen Jahren mache ich Führungen für das Weissenhofmuseum. Dazu gehörten auch größere Runden hinaus zum Kochenhof. Der Weg führt an der Brenzkirche vorbei. Natürlich habe ich dabei die Geschichte dieser Kirche erzählt.

Wie wurde die Brenzkirche zum IBA’27 Projekt?

Die ersten Gespräche dazu gab es bereits 2019. Wir erfuhren damals, dass die Gemeinde seit Jahren für diese Kirche kämpft, die einfach niemand schön findet und die sanierungsbedürftig ist. »Können wir die IBA’27 als Chance nutzen, um der Diskussion neuen Schwung zu geben«, war damals die Frage an uns. Allerdings gab es zu dieser Zeit noch die Idee, den Rückbau der Kirche anzustoßen.

Was sprach gegen einen Rückbau?

Das Denkmalamt. Der rigorose Umgang mit dem Neuen Bauen im Nationalsozialismus darf aus rechtlicher Sicht nicht negiert werden. Wir haben deshalb recht schnell zurückgemeldet, dass ein Zurück zum ursprünglichen Bau von Alfred Daiber aus dem Jahr 1933 nicht möglich ist. Spannend fanden wir hingegen den Gedanken, das Gebäude weiterzubauen. Sprich: die verschiedenen Bauschichten aufzubereiten und um eine zeitgenössische neue Schicht zu erweitern. Deshalb haben wir die Aufgabe neu definiert – mit dem Ziel, die Geschichte sichtbar zu machen. Das ist im Grunde dasselbe, was im Doppelhaus Le Corbusier geschehen ist: eine denkmalgerechte Sanierung, an der Zitate ablesbar bleiben. Der Entwurf von Wandel Lorch Götze Wach setzt diese Idee sehr sensibel um.

Die Fronten in der Diskussion waren ja etwas verhärtet …

Genau für solche Situationen sind wir als Projektteam der IBA’27 da. Wir kennen ähnliche Situationen aus anderen Projekten. Eine neutrale Moderation ist hier hilfreich. Was zählt, ist, dass man gemeinsam über die übergeordneten Ziele spricht.

Was bedeutet die Brenzkirche für die IBA’27?

Die Brenzkirche ist ein wichtiger Baustein des Weissenhofquartiers – und der Weissenhof ist ein besonderer Ort für die IBA’27: als Ausgangspunkt, als Inspiration, als Referenz. Deshalb ist es wichtig, wie wir dieses vielschichtige und vielfältige Quartier im Jahr 2027 präsentieren. Es gab 2021/22 einen städtebaulichen Ideenwettbewerb. Daraus entstanden die Grundlagen für die Projekte zur Brenzkirche und zum Weissenhof.Forum.

Wie nehmen Sie als Architektin das Quartier am Killesberg wahr? Es hat ja internationale Bedeutung.

Absolut, ja. Das Besondere an diesem Quartier ist für mich die Vielfalt an verschiedenen Bauschichten, Akteurskonstellationen und Eigentumsverhältnissen: Wir haben die Kunstakademie, die schon vor der Weissenhofsiedlung gebaut wurde, die aber ergänzt wurde mit wunderschönen Neubauten. Dann haben wir die Weissenhofsiedlung als Perle mit internationaler Strahlkraft, wir haben die 60er-Jahre und die 90er-Jahre und die Killesberghöhe. Und wir haben die Brenzkirche.

Dieser Zusammenhang wird oft nicht wahrgenommen …

Stimmt. Wir haben aktuell architektonische Inseln, die sich in ihrer eigenen Logik nicht weiterentwickeln können. Deshalb ist die Gestaltung der Freiräume so wichtig. Bislang fehlt die Orientierung – ein Leitsystem. Die Verkehrslage ist hochkompliziert, es gibt keine richtige Eingangssituation. Ohne Hintergrundwissen nimmt man die Brenzkirche gar nicht wahr. Wenn man darauf hinweist, sagen viele: »Ach was, da ist eine Kirche?«. Ja, tatsächlich.

Das geht vielen so …

Und das ist das Problem: Die Kirche vermittelte optisch nichts mehr. Es war einfach ein Gebäude in sehr schlechtem baulichem Zustand. Wer ihre Geschichte kennt, konnte im Innern viele originale Elemente finden. Aber von außen lässt sich das weder erkennen noch einordnen.

Welche Rolle spielt für Sie die Ästhetik eines Bauwerks?

Eine wichtige! Wir alle halten uns gerne in Gebäuden auf, die wir schön finden.

Was war das Besondere an Alfred Daibers ursprünglichem Entwurf?

Die Idee, alles unter einem Dach zusammen-zubringen: Sakralraum, Gemeindenutzung und Gemeindewohnungen. Und diese Idee passt auch heute noch ausgezeichnet zum Quartier. Die Brenzkirche ist nicht nur eine Gemeindekirche, sie ist die Kirche des Quartiers. Dort gab es Konzerte, Veranstaltungen, Kooperationen mit der Kunstakademie. Pfarrer Fischer hat mir erzählt, dass 2015 viele Geflüchtete hier Austausch und Gemeinschaft suchten. Die Türen waren offen. Menschen fanden hier Schutz und Verständnis. Und ausgerechnet diese offene, einladende Kirche ist unsichtbar? Da bekommt man fast einen Schreck, oder?

Was begeistert Sie am Entwurf von Wandel Lorch Götze Wach?

Die Sensibilität und Kreativität im Umgang mit den historischen Bauschichten. So wird zum Beispiel die ursprüngliche Asymmetrie wiederhergestellt, jedoch ohne in die Bausubstanz einzugreifen. Die von Rudolf Lempp nach Osten eingebauten Fenster zum Innenhof bleiben – und müssen aus Gründen des Denkmalschutzes auch bleiben. Aber man wird nur das Licht sehen, nicht die Fenster. Die ursprüngliche Asymmetrie wird quasi inszeniert.

Kommen wir noch einmal zum Stichwort »Offenheit«. Der Bau von Alfred Daiber hatte ja bereits einen einladenden Vorplatz …

Ja, und das war für die damalige Zeit sehr innovativ. Er verlegte den Sakralraum in den ersten Stock und öffnete das Erdgeschoss zum Quartier hin. Das war ein klares Bekenntnis zu Offenheit und Gemeinschaft. Genau das war zuletzt architektonisch nicht mehr gegeben. Und das ist ein Element, das der Entwurf von Wandel Lorch Götze Wach aufgreift und rettet.

Das spricht für eine hohe Sensibilität für das Thema bei Wandel Lorch Götze Wach.

Man hat am Entwurf sofort gemerkt, wie viel Erfahrung das Büro mit Sakralbauten – mit Kirchen, aber auch Synagogen – hat. Der Entwurf kehrt zurück zur ursprünglichen Sachlichkeit, Modernität und Schönheit, ohne die anderen Schichten zu ignorieren. Mir gefällt auch, wie sich die Architekten sehr sensibel mit Nachhaltigkeit und mit neuen Materialien auseinandersetzen. In der Brenzkirche kommt zum Beispiel eine neuartige Leichtbaumembran aus Aluminiumschaum zum Einsatz, ein neues Material, das leicht, filigran und wartungsarm ist.

Frau Jaureguízar, warum engagieren Sie sich persönlich auch im Fundraising?

Weil mir diese Kirche wirklich viel bedeutet. Diese Gemeinde ist besonders – sehr herzlich und offen. Ich fühle mich schon selbst ein wenig wie ein Gemeindemitglied, obwohl ich ursprünglich katholisch bin (lacht). Spenden sind für dieses Projekt sehr wichtig. Man muss wissen, dass die IBA’27 selbst keine Projekte finanziert. Wir stellen die Organisation, die Beratung und Betreu-ung und unterstützen auch durch unser Netzwerk. Aber die IBA’27 ist nicht Bauherrin.

Bleiben wir bei der IBA’27. Die IBA-Projekte befinden sich ja in der gesamten Region. Welche Bedeutung kommt da der Brenzkirche zu?

Eine große. Nicht alle Projekte werden 2027 bereits fertiggestellt sein. Das ist auch nicht das Ziel. IBA’27 ist ja nicht auf ein Jahr beschränkt, sondern will Impulse geben, wie man in Zukunft, also in den Jahren 2027 plus, lebt, wohnt und arbeitet. Die Brenzkirche ist interessant, weil sie im IBA’27-Ausstellungsjahr fertig ist, an einem wichtigen Ort steht und dort eine große Symbolkraft entwickeln kann. Und das nicht isoliert, sondern auch im Zusammenhang mit dem Weissenhof.Forum, das aktuell entsteht. Das Projekt strahlt also weit über sich hinaus.

Also ein Leuchtturm für die IBA’27?

Definitiv!

Das Interview führte Angelika Brunke.

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